A long story short

Deutschlands Bestimmung (1994)



Von Loren Cunningham



Es war im April 1991, als ich in Altensteig (Schwarzwald) auf einer europäischen Konferenz für christliche Rundfunk- und Fernseh-Journalisten sprechen sollte. Kurz bevor ich sprach, kam plötzlich Gottes Geist über mich, und ich begann, über Deutschland zu weinen. Ich weinte und weinte. Und ich fühlte buchstäblich einen Schmerz; ich meinte, mir würde das Herz zerspringen.

Diese Schmerzen beim Gebet hatte ich schon öfter für einzelne empfunden, aber noch nie für ein Land. An diesem Abend machte Gott mir deutlich: "Ich lasse dich ein wenig von meinem zerbochenen Herzen für Deutschland spüren."

Gott hat über Deutschland geweint. Er hat gesehen, wie dieses Land mißbraucht und verletzt wurde. Gott hat die Verwirrung gesehen. Sein Herz ist zerbrochen, weil er dieses Land so sehr liebt und weil es die ursprüngliche Bestimmung, die er ihm zugedacht hatte, verfehlt hat.

Ich hoffe, man verzeiht mir die Kühnheit, dass ich meine Beobachtungen und Gedanken zur Vergangenheit Deutschlands hier darlege und mich auch über die schweren Zeiten eurer Geschichte äussere, obwohl ich selbst kein Deutscher bin.

Ich habe Deutschland seit 1960 immer wieder besucht, und Gott hat mir eine tiefe Liebe für euer Land gegeben. Es gibt Leute, die ihr ganzes Leben dem Studium der deutschen Geschichte widmen; ich dagegen bin kein Historiker. Und doch habe ich durch meinen Dienst, der mich in viele Länder führt, eine durchaus interessante Perspektive. (In den letzten vier Jahrzehnten war ich in 273 Nationen, Ländern und Territorien.) Das gibt einem einen weiten - allerdings auch etwas oberflächlichen - Überblick über die Welt und ihre Völker.

Ich habe beobachten können, dass jede Nation ihre besondere Persönlichkeit und einen eigenen Charakter hat. Jede hat ihre eigenen Traditionen und Werte, ihre eigene Kultur. Und trotzdem muss ich sagen, dass Deutschland eine der Nationen ist, die mir besonders lieb geworden sind und mir viel bedeuten.

Ich glaube, dass im Herzen Gottes Deutschland seinen besonderen Platz hat. Er möchte es wiederherstellen und es zu der Bestimmung zurückführen, die er von Anfang an für Deutschland im Blick hatte.

Wenn wir unsere Geschichte nicht verstehen und nicht wissen, wo wir herkommen, dann können wir nicht unserer Bestimmung gemäß leben. Deshalb beginnt die Bibel mit den Worten: "Am Anfang schuf Gott..." Die Vergangenheit eines jedes Menschen beginnt mit Gott. Wir müssen uns mit unserer Vergangenheit aussöhnen. Ich habe mir sagen lassen, dass ihr im Deutschen ein Wort hierfür geprägt habt: Vergangenheitsbewältigung. Wir müssen uns unserer Geschichte stellen und ihr ins Gesicht sehen.

Auch unsere Ahnenreihe ist ein unbestreitbarer Teil von uns; sie gehört zu unserem "Erbe" - zu dem, was wir von der Vergangenheit mitbekommen. Das sind unsere Wurzeln.

Nationen haben ebenfalls Wurzeln. Sie haben eine Geburtsstunde und eine ganz besondere Geschichte. In der Apostelgeschichte (17,26) steht, dass es Gott ist, der Nationen zur Geburt bringt. Und jedes Land hat seine Bestimmung; aber um diese Bestimmung verstehen zu können, muss jedes Land seine Vergangenheit betrachten.

Die Berliner Mauer, das Symbol der Teilung Deutschlands, fiel am 9. November 1989 - also 51 Jahre nachdem die Reichskristallnacht am 9. November 1938 die dunkelste Periode dieser Nation einleitete.

Genauso wie der gottlose Herrscher Rehabeam (1 Kön 12) die Spaltung seines Landes verursachte, führte auch Hitler sein Land in Teilung und Tod. 55 Millionen Menschen starben in dieser schlimmen Zeit, und Deutschland hörte auf, als einheitliche und souveräne Nation zu existieren.

Am 3. Oktober 1990 wurde das zerteilte Deutschland durch Gesetzesbeschluß wieder eins. Dennoch sind tiefsitzende geistige Trennungen geblieben - Trennungen, die nicht verschwinden werden, bis die Deutschen ihre Vergangenheit annehmen und vergeben. Das sollte auch Ausdruck finden in der Dankbarkeit für die vielen guten Vorbilder der Vergangenheit.


Fünf Gaben Deutschlands an die Welt



Der Satan will Lügen über die Identität der Deutschen verbreiten. Wie sieht nun aber die Vorstellung, die Gott von Deutschland hat, aus?

Es ist die Bestimmung, die er für Deutschland erdachte, als er diese Nation erschuf. Man kann diese Bestimmung erkennen, wenn man die deutsche Geschichte betrachtet. Gott hat den Christen in Deutschland ein reiches "Erbe" anvertraut, das man dankbar anerkennen und nutzen darf.

Es mag nun oberflächlich klingen, wenn ich mich hier auf nur fünf Punkte beschränken möchte. Deutschland war ja in so vieler Hinsicht ein Geschenk an die Nationen; man denke nur an Musik, Literatur, Staatskunst, Sport, Wissenschaft, Industrie, Handel und vieles mehr. In jüngster Vergangenheit ist die Großzügigkeit Deutschlands, was internationale Hilfeleistungen betrifft, nicht zu übersehen. Zudem wurden viele Flüchtlinge aus leidgeprüften Ländern in Deutschland aufgenommen.

Trotzdem möchte ich besonders auf fünf Punkte hinweisen, für die ich als Ausländer den Deutschen persönlich zu Dank verpflichtet bin. Diese Punkte reflektieren etwas von der Bestimmung zu einem wahrhaft "internationalen" Dienst, den Gott dieser Nation gegeben hat - eine Beauftragung, die Nationen dieser Welt zu segnen.


1. Die ganze Welt sollte dankbar sein für Martin Luther. Als dieser Mann im Jahr 1517 seine 95 Thesen an das Tor der Wittenberger Schlosskirche nagelte, löste er ungeahnte Veränderungen aus. Abgesehen von der Tatsache, dass durch Luthers Gedanken der Protestantismus als neue geistige Kraft mit neuen Denkansätzen ins Leben gerufen wurde, bewirkte dieser Schritt noch viel mehr: Auf indirekte Weise löste Luther damit auch manche positiven Entwicklungen in der Katholischen Kirche (z.B. Reformbemühungen im Rahmen der Gegenreformation) aus.

Luther und andere reformatorische Denker wandten sich auch der grossen Aufgabe zu, aus bibeltheologischer Sicht Leitlinien für gesellschaftliches Leben und Regierungsverantwortung zu formulieren.

Ich kann mir weder meine eigene Nation, die Vereinigten Staaten, noch deren Verfassung ohne die bahnbrechenden Gedanken der Reformatoren vorstellen.

2. Die Christen auf der ganzen Welt sollten sich an einen anderen Deutschen erinnern, dessen Erfindung sie ihren kostbarsten Besitz, die Bibel, verdanken. Wenn es nämlich Johannes Gutenberg, der im 15. Jahrhundert in Mainz den Buchdruck erfand, nicht gegeben hätte, dann hätten Millionen von Christen auf der ganzen Welt sich kein eigenes Exemplar der Heiligen Schrift leisten können. Vor Gutenberg war es nur den Reichen und den wenigen, die in einer religiösen Gemeinschaft lebten, vergönnt, eine Bibel in Händen zu halten. Abgesehen von dieser privilegierten Minderheit war ihre Wahrheit allen anderen verschlossen. Gutenberg veränderte das durch seine Erfindung. Wenn ich mir also ohne viel Mühe eine handliche und bezahlbare Bibel besorgen kann, dann verdanke ich das einem Deutschen.

Ausgelöst durch die Gedanken der Reformation wurde dann die Bibel von breiten Schichten entdeckt. Sie war der Bestseller des 16. Jahrhunderts: Eine Million Bibeln wurden allein zwischen 1522 und 1546 gedruckt. - Die Wurzeln der modernen Bibelgesellschaften liegen also in Deutschland.

3. Die drei weiteren Gaben, die ich hier nennen möchte, haben alle einen Bezug zu Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) und zu den Flüchtlingen, die er aufnahm: die neuzeitliche Missionsbewegung, das Anliegen der Fürbitte für die Nationen der Welt und die Erweckungsbewegungen.

Wir wollen im folgenden einen Blick auf die Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine werfen, weil diese modellhafte Gemeinschaft verdeutlicht, welche internationale Berufung Gott diesem Volk anvertraut hat.


Das verborgene Samenkorn



Es begann in Böhmen und Mähren, den beiden Ländern, die heute die Tschechische Republik bilden: Ein Mann namens Johannes Hus wirkte dort als Reformator - lange bevor die lutherische Reformation in Deutschland begann. Er hatte sich er gegen Missstände in der Kirche gewandt und wurde 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Die Hussiten liessen sich jedoch nicht davon abbringen, die Missstände beim Namen zu nennen, die nach ihrer Überzeugung nicht mit der Bibel vereinbar waren. Sie waren davon überzeugt, dass alle, die zur Glaubensgemeinschaft der Christen gehören wollen, auch tatsächlich ein Leben in Heiligkeit führen, den Unterdrückten helfen und sogar bereit sein sollten, das eigene Leben für andere zu opfern.

Es gibt wohl kaum eine andere Gemeinschaft, die so viel Verfolgung erleiden musste wie diese ersten Hussiten. Nach dem Märtyrertod von Johannes Hus waren sie jahrelanger Verbannung, Gefangenschaft und Folterqualen ausgesetzt; man verstümmelte, köpfte, ertränkte oder verbrannte sie. Doch bevor sie ganz vernichtet wurden, flüchtete ein Überrest in die Berge, wo sie in Höhlen lebten; dort konnten sie im Verborgenen beten und in der Bibel lesen.

Sie gründeten 1457 die Gemeinschaft der Mährischen Brüder, die auch unter der lateinischen Bezeichnung "Unitas Fratrum" bekannt ist. Später, in der Reformationszeit, nahmen die Mährischen Brüder mit Luther, Calvin und anderen Kontakt auf, um von ihnen zu lernen.

Johannes Amos Comenius (1592-1670) gehörte zu dieser verfolgten Gemeinschaft. Er betete darum, dass Gott einen Rest der Mährischen Brüder als "verborgenes Samenkorn" beschützen möge.

Im Jahr 1722 - fast ein Jahrhundert später - erreichte eine kleine Gruppe dieser Mährischen Glaubensgemeinschaft das Gut Zinzendorfs in Sachsen, wo sie Zuflucht fanden. Auf erstaunliche Weise war Zinzendorf von Gott vorbereitet worden - als Gastgeber dieser Flüchtlinge und als Förderer einer Erweckung, die schliesslich die ganze Welt beeinflussen sollte.


Zinzendorf und die Wiederherstellung der Brüderunität



Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf wurde am 26. Mai 1700 geboren. Er entstammte einer alten österreichischen Adelsfamilie. Mit 10 Jahren wurde er zur Ausbildung nach Halle, einem Zentrum der pietistischen Reformbewegung, geschickt. (Der Pietismus legte grossen Wert auf die persönliche Bekehrung und bemühte sich um eine "zweite Reformation", die neues Leben in die lutherische Kirche bringen sollte.)

Die Pietisten in Halle hatten 1705 die ersten protestantischen Missionare ausgesandt; zwei junge Deutsche hatten sich nach Indien auf den Weg gemacht. Zinzendorf war tief beeindruckt von dem missionarischen Eifer der Pietisten. Im Alter von 15 Jahren gründete er während seiner Ausbildungszeit in Halle den sogenannten "Senfkorn-Orden", dessen Ziel die Aussendung von Missionaren zu Völkern, um die niemand sonst sich kümmerte, war.

Einige Jahre später (1722) brachte Gott die mährischen Flüchtlinge zum Gut des Grafen. Zinzendorf erlaubte ihnen, in der Nähe des Dorfes Berthelsdorf eine Niederlassung zu errichten. Sie nannten ihre Gemeinschaft Herrnhut, weil sie ein Zufluchtsort unter Gottes Schutz ("unter des Herrn Hut") sein sollte. Es kamen noch andere Flüchtlinge, die aus Glaubensgründen ihre Heimat hatten verlassen müssen und nun bei Zinzendorf Schutz suchten, dazu: Pietisten, Separatisten aus den lutherischen und reformierten Kirchen, Täufer und andere.

Leider erhitzten sich ihre Gemüter schnell in Diskussionen über dogmatische Streitfragen. Was der Scheiterhaufen und die Folterbank nicht vernichten konnten, wurde nun von religiösem Stolz und Meinungsverschiedenheiten bedroht.

Einige erkannten die Gefahr. Zinzendorf suchte jede Familie auf und bat sie dringend, einer brüderlichen Übereinkunft beizutreten (12. Mai 1727). Dies schloss auch die Zielsetzung ein, nicht nur eine normale Dorfgemeinschaft zu bilden, sondern bewusst als christliche Gemeinschaft zusammenleben zu wollen. Zu den weiteren Regeln dieser Vereinbarung gehörte das Versprechen, Jesus zu gehorchen und einander zu lieben, die Einheit im Wesentlichen zu wahren und im Unwesentlichen Toleranz zu üben.

Im Juli 1727 erfuhr Zinzendorf mehr über den Glauben und die Gewohnheiten der alten Mährischen Brüder, als er ein Buch von Comenius entdeckte ("Ratio Disciplinae"). Zu seinem Erstaunen entdeckte er, dass diese Glaubensgrundsätze dem entsprachen, was den Inhalt ihrer eigenen, kurz zuvor vereinbarten Übereinkunft bildete. Nun ahnte er, dass die mährischen Christen durch Gottes Führung zu ihm gekommen waren. Gott war dabei, diese alte Gemeinschaft, dieses "verborgene Samenkorn", wieder zum Leben zu erwecken, damit es für die ganze Welt Segen bringen konnte.

Ein besonderer Tag in der Geschichte Herrnhuts war der 13. August 1727. An diesem Mittwoch hatte der lutherische Pfarrer des Ortes die Gläubigen zum Abendmahl zusammengerufen. Wieder war Zinzendorf von Tür zu Tür gegangen und hatte die Brüder und Schwestern ihrer Gemeinschaft gebeten, ihre Differenzen beizulegen und in Demut zusammenzukommen, um das Abendmahl zu empfangen.

Am Morgen des 13. Augusts fand der Abendmahlsgottesdienst in der Kapelle von Berthelsdorf statt. Manche gingen noch vor dieser Versammlung auf andere zu, um sich mit ihnen auszusöhnen. Nach der Predigt knieten alle zum Gebet nieder. Während dieser Gebetszeit standen einige leise auf und baten andere um Vergebung. Danach sprach Zinzendorf selbst ein Gebet, in dem er - stellvertretend für alle - Gott um Vergebung und um Versöhnung innerhalb der Gemeinschaft bat.

Zinzendorf berichtet, dass dieser Abendmahlsgottesdienst eine Ausgiessung des Heiligen Geistes war. Eine Atmosphäre der Anbetung breitete sich aus, die den ganzen Tag über bis in die Nacht anhielt.

Damals - etwa 300 Jahre nach dem Märtyrertod von Johannes Hus begann eine neue mährische Erweckung. "Das verborgene Samenkorn" wurde - bildlich gesprochen - in den deutschen Boden gepflanzt. Mit einem anderen Bild könnte man sagen: Damals wurden die Glaubenserfahrungen der Mährischen Brüder Teil des "genetischen Codes" üü des Christentums in Deutschlands.


Der Fürbittedienst und eine ununterbrochene 100jährige "Gebetswache"



Nachdem die Herrnhuter zu einer Einheit verschmolzen waren, richteten sich ihre Gebete immer mehr nach aussen: Nun kamen die nichtchristlichen Völker der Erde in ihr Blickfeld. Diese Gruppe von etwa 300 Leuten betete für weit entfernte Länder (z.B. Türkei, Nordafrika, Grönland und Lappland). Besonders für die Protestanten in Europa war dies damals einmalig.

Indem sie beteten, begannen sie auch, darüber nachzudenken, wie sie ferne Orte erreichen könnten. Doch dies schien aussichtslos, da sie ja nur ein Haufen mittelloser Flüchtlinge waren. Jeder arbeitete hart und lebte anspruchslos, sie konnten kaum ihren eigenen Bedürfnissen gerecht werden. Doch Graf Zinzendorf hielt daran fest, dass Gott den Weg für sie bereiten und sie als Missionare aussenden würde.

Fünf Jahre später wurden tatsächlich die ersten beiden Herrnhuter zu den afrikanischen Sklaven von St. Thomas auf den Westindischen Inseln ausgesandt. Die Motivation der beiden Männer war der Gedanke, dass das Lamm Gottes den Lohn für sein Leiden empfangen möge.

Es ist erstaunlich, wie schnell von diesem Zeitpunkt an Missionare in andere Länder ausgesandt wurden. Sie gingen nach Grönland, Lappland, zu den Indianern in Nordamerika, nach Surinam, zur Elfenbeinküste Afrikas und nach Indien.

Nach drei Jahren missionarischen Wirkens auf den Westindischen Inseln, wo die Herrnhuter zusammen mit den Sklaven arbeiteten und ihnen dabei in aller Ruhe das Evangelium verkündigen konnten, hatten sich vier Menschen bekehrt. Aber ihr Einsatz, durch den diese vier Menschen zum Glauben kamen, kostete zehn Herrnhuter Missionare das Leben.

Während der ersten vier Jahre der Herrnhuter Mission gaben insgesamt 22 Missionare ihr Leben. Trotzdem hörten sie nicht auf zu gehen. Als Zinzendorf 1760 starb, hatte diese eine Gemeinschaft in Herrnhut bereits 226 Missionare ausgesandt!

Innerhalb einer Generation erreichten sie beinahe alle Kontinente, sie arbeiteten unter Hottentotten in Afrika, Sklaven in der Karibik, Eskimos in der Arktis und unter einheimischen amerikanischen Indianern.

Eine beeindruckende Entwicklung war der Beginn der „Gebetswachen" im Mai 1727. Die Herrnhuter wussten, dass Gott einen Feind hat, der weder bei Tag noch bei Nacht schl&uauml;ft, und deshalb beauftragten sie abwechselnd Mitglieder ihrer Gemeinschaft mit dem Dienst des Gebets. Dieser t&uauml;gliche Gebetsdienst in Form einer 24-stündigen „Gebetskette" hielt über 100 Jahre. Es wurde gebetet, dass jedes Land dieser Erde mit der guten Botschaft erreicht würde.


Die blutige Revolution, die nicht stattfand



Diese neue Perspektive der Herrnhuter Pietisten f&uouml;r die Weltmission breitete sich immer weiter aus. So wurde beispielsweise durch das vorbildliche Engagement von Herrnhuter Missionaren ein junger Engländer namens William Carey (1761-1834) für den Missionsgedanken gewonnen und dazu motiviert, selbst als Missionar nach Indien zu gehen.

Die Herrnhuter Gemeinschaft beeinflusste auch zwei andere junge Männer, die dann den Lauf der Geschichte in England, Amerika und darüber hinaus entscheidend prägten: Charles und John Wesley.

John Wesley war anglikanischer Pfarrer. Er befand sich auf einer Missionsreise nach Amerika und lernte auf der Überfahrt Herrnhuter Missionare kennen. Diese berichteten ihm auf eine so persönliche Weise von ihren Erfahrungen mit Jesus, wie es Wesley noch niemals zuvor gehört hatte.

Mitten auf dem Atlantik kam ein starker Sturm auf, und es schien, als würden sie alle umkommen. John Wesley befand sich in Todesangst. Dann aber bemerkte er, wie gelassen die Herrnhuter dem Tod ins Auge sahen, dass sie Loblieder sangen und dass selbst ihre Kinder im Sturm keine Angst hatten.

Das Schiff überstand den Sturm, und sie kamen sicher in Amerika an. Doch Wesley konnte seine Begegnung mit den Herrnhutern nicht vergessen. Er machte sich auf die Suche nach ihnen und konnte von ihnen mehr über ihr Leben mit Jesus erfahren. August Spangenberg fragte ihn, ob er Jesus als seinen persönlichen Retter kennen würde. Wesley bejahte diese Frage zwar, aber - wie er später in seinem Tagebuch zugab - er hatte keine Heilsgewissheit.

Nach seiner Rückkehr nach England nahm Wesley eines Abends an der Zusammenkunft einer anglikanischen Gemeinschaft teil, die in der Londoner Aldersgate Street stattfand. Dort las jemand aus Luthers Kommentar zum Römerbrief vor. Wesley berichtete sp&aouml;ter, dass sein Herz in diesem Moment auf eigenartige Art vom Heiligen Geist „“erwärmt" worden sei.

Es waren also mehrere Deutsche an dieser folgenreichen Bekehrung von John Wesley beteiligt: zunächst die Herrnhuter und dann - durch seine Schriften - auch Martin Luther. (Der Kontakt zu den Deutschen vertiefte sich, als Wesley Herrnhut und Halle besuchte.)

Damals war England von Korruption und Gottlosigkeit geprägt. Es gab keine Kirche, die sich um die Arbeiterklasse bem&üuml;hte. Die blutige Revolution Frankreichs drohte über den Kanal zu schwappen, da Hunderttausende in englischen Städte unter unmenschlichen Bedingungen in den Fabriken arbeiten mussten. Doch dann kam es in England nicht zu einer Revolution, sondern zu einer Erweckung.

Die Anglikanische Kirche verschloss sich zwar dem Wirken von John Wesley, so dass die Methodistische Kirche entstand. Doch John Wesley und sein Bruder Charles brachten den Massen in grossen Evangelisationsveranstaltungen unter freiem Himmel das Evangelium. George Whitefield war damals ebenfalls als Evangelist t&uauml;tig, und Hunderttausende kamen in das Reich Gottes.

Dies war eine Erweckung, die wirklich eine ganze Gesellschaft veränderte. Sie führte u.a zur Reform der Arbeitsbedingungen, zur Abschaffung von Kinderarbeit und Sklaverei, und weitere Erweckungen folgten.

Die frühe Methodistengemeinde übernahm viele Methoden der Herrnhuter, z.B. die Evangelisationspredigt vom Pferd aus. Als die Vereinigten Staaten gegründet wurden und allmählich den gesamten Kontinent eroberten, folgten den Pionieren reitende Methodistenprediger hart auf den Fersen, die das „Grosse Erwachen" - "The great Awakening" überall in Amerika verbreiteten.

Aus dieser Erweckung bekamen weitere Erweckungsbewegungen ihre Impulse: z.B. die von Charles Finney geleitete Erweckungsbewegung sowie die von William Booth gegründete Heilsarmee. Einige Resultate dieser Erweckungen waren die Gleichberechtigung der Frau, die sog. Abstinenzbewegung, eine Bildungsreform, eine Verbesserung der Waisenhäuser, Gesetze zum Schutz der Insassen von psychiatrischen Anstalten, eine Reform des Gesundheitswesens und verbesserte Lebensumstände in den Gefängnissen.

Der Erweckungsstrom, der von Wesleys Tätigkeit ausging, setzte sich fort in der Cumberland Erweckung, der Heiligungsbewegung, der Pfingstbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Wiederbelebung der evangelikalen Gedanken in den 50er Jahren, in der Charismatischen Bewegung der 60er Jahre, der Bewegung der „Jesus People" in den 70er Jahren.

Die Wurzeln dieser wirkungsvollen Entwicklungen und Ereignisse lassen sich alle zu einem kleinen Ort in Sachsen und zu einer Gruppe zurückverfolgen, die man die „Herrnhuter Brüdergemeine" nannte. Es ist nicht übertrieben, wenn die Christen auf der ganzen Welt sagen, dass sie viele Segnungen Gottes Deutschland verdanken.


Deutsche Pioniermissionare



Aber die Herrnhuter waren nicht die einzigen, die aus Deutschland kamen. Andere deutsche Missionare hinterliessen ebenfalls Spuren ihres Wirkens überall auf der Welt. Ich bin an vielen abgelegenen Orten gewesen, wo ich mich in Gebäuden aufhielt, die deutsche Pioniermissionare erbaut hatten.

Auf jeder Liste herrausragender deutscher Missionare muss auch Berthold von Regensburg erscheinen, der im 13. Jahrhundert als Wanderprediger wirkte. Er predigte unter freiem Himmel in Bayern, Schwaben, Österreich, Ungarn, Böhmen und in der Schweiz. Aus geschichtlichen Berichten können wir entnehmen, dass er zu Hunderttausenden sprach, von denen Unzählige sich für die Nachfolge Jesu entschieden.

Johann Schall von Bell ging 1618 nach China, wo er das Vertrauen des ersten Kaisers der Mandschurei gewann. Schall war ein ausgezeichneter Astronom; er reformierte den chinesischen Kalender. Er gründete auch chinesische Gemeinden und konnte sogar den Kaiser davon überzeugen, die Götzenbilder aus seinem Palast entfernen zu lassen.

Bartholomäus Ziegenbalg war einer der beiden Deutschen, die 1706 als erste von der „Dänisch-Hallischen Missionsgesellschaft" nach Indien ausgesandt wurden. Obwohl er schon im Alter von 36 Jahren starb, hinterliess er eine Gemeinde mit 250 Mitgliedern und eine Schule. Er hatte ausserdem eine Papierfabrik und eine Druckerpresse mit aufgebaut, hatte den Menschen gezeigt, wie man Wolle spinnt, so dass sie auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen konnten, und hatte das Neue Testament in die Sprache der Tamilen übersetzt.

Im 19. Jahrhundert ging Ludwig Nommensen nach Sumatra, das damals zu Holländisch Ost-Indien geh&ouuml;rte. Er lernte die Sprache der Batak. Obwohl diese Menschen zweimal versuchten, ihn zu vergiften, überlebte er die Anschläge und gewann ihre Herzen. Vor der Ankunft Nommensens hatte es keinen einzigen Christen auf Sumatra gegeben. Als er 1918 starb, hinterliess er eine blühende Kirche mit 180.000 Bataks. Ausserdem hatte er Batak-Pastoren ausgebildet, Krankenhäuser eingerichtet, ein Heim für Leprakranke, eine Schule für gewerbliche Ausbildung und eine Druckerei aufgebaut.

1750 kam ein anderer deutscher Missionar, Christian Friedrich Schwartz (1726-1798), nach Indien. Er liess sich in Tranquebar nieder. Viele Missionswissenschaftler bezeichnen ihn heute als den „Modell-Missionar des 18. Jahrhunderts". Schwartz war einer der aktivsten, furchtlosesten und erfolgreichsten Missionare seit den Zeiten der Apostel. Er arbeite 48 Jahre lang in Indien, ohne jemals wieder nach Deutschland zurückzukehren. Es bekehrten sich Hindus und Moslems. Schwartz schulte einheimische Pastoren, begann Impfprogramme und baute öffentliche Schulen auf biblischer Grundlage auf. Als er 1798 starb, hinterliess er eine Gemeinde von 2.000 Mitgliedern in Indien.

Was für Helden! Was für Glaubenspioniere! Welch ein Reichtum an Vorbildern, ein Erbe an Glaubenserfahrungen, die den jungen Christen in Deutschland zur Verfügung stehen. Man muss sich wirklich darüber wundern, dass eine Nation, die so viel segensreiches Engagement hervorgebracht hatte, so sehr durch einen Hitler verführt werden konnte und an solch einem abscheulichen Verbrechen wie dem Holocaust beteiligt war.


Teuflische Rache



In der Bibel lesen wir, dass Gott die Gaben und Berufungen, die er gibt, nicht bereut (Röm 11,29). Gott hat Deutschland die Berufung und Begabung gegeben, andere Nationen auf der ganzen Welt positiv zu beeinflussen.

Ich bin sicher, dass der Satan voller Wut war über die Erweckungsbewegung der Herrnhuter und über den Segenstrom von Missionaren, die Deutschland in die ganze Welt aussandte. Er sah die Dynamik dieser Nation und entschloss sich, Deutschland lahmzulegen. Als er zum Gegenangriff überging, setzte er gerade die St&uauml;rken und Begabungen der Deutschen ein: Er benutzte ihre Fähigkeiten und pervertierte sie durch intellektuellen Stolz; und so gelang es ihm, die ganze Welt zu vergiften. Diese Entwicklung soll im Folgenden skizziert werden (allerdings nur ganz knapp und vereinfacht).

Einer dieser Männer, deren Stolz er benutzte, war Friedrich Nietzsche, der 1844 als Sohn eines evangelischen Pfarrers in Preussen geboren wurde. Nietzsche war von der Philosophie Arthur Schopenhauers (1788-1860), von evolutionistischem Gedankengut und von seiner Freundschaft mit dem Komponisten Richard Wagner (1813-1883) beeinflusst.

Nietzsche lehnte traditionelle Werte kategorisch ab - besonders diejenigen Werte, die dem Christentum entstammten. Sein grundlegender Ausgangspunkt wird deutlich in dem von ihm geprägten Schlagwort „Gott ist tot". Er lehrte, dass moralische Werte nur der Mentalität von Sklaven entsprächen; stattdessen könne man sich neue Werte schaffen. So führte er den Begriff des „Übermenschen" ein. Darunter verstand er eine Art Idealmenschen, der sich nicht vom Strom der breiten Masse treiben lässt, sondern in seiner Unabhängigkeit sicher lebt. Dieser „Übermensch" sollte seine eigenen Werte, eine „Herrschermoral", neu definieren und einen kreativen Willen zur Macht besitzen, der ihn von der minderwertigen, breiten Masse unterschied.

In allen totalitären Ideologien des 19. und 20. Jahrhundert ist das Nachwirken von Nietzsches Philosophie festzustellen - sowohl im Kommunismus auf der extrem linken Seite als auch im Nationalsozialismus auf der extrem rechten Seite.

Nietzsche beeinflusste auch spätere Philosophen, z.B. Martin Heidegger (1899-1976), dessen Ideen durch Jean-Paul Sartre aufgegriffen wurden. Diese Philosophie brachte tiefe Verzweiflung in unser Jahrhundert. Eine ganze Generation begann zu glauben, dass es keine absolut gültigen Wahrheiten und keinen tieferen Sinn im Leben gäbe. Dieses Denken beeinflusste jeden Gesellschaftsbereich, von der Kunst bis zum Film, von der Musik bis zur Literatur. Die grösste Tragödie war die Behauptung, es gäbe keine absoluten Werte; und somit könne man richtig und falsch nicht mehr definieren. Die traditionelle Moral war gestorben; sie wurde nun ersetzt durch die Relativität der Wahrheit und eine Ethik, die - je nach Situation - ganz unterschiedliche Wegweisungen gibt.

Sogar die Christenheit wurde fehlgeleitet. Aus Deutschland kamen Theologen wie David Strauss (1808-1874), der erklärte, dass die Evangelien eine Sammlung von Mythen seien, und Ernst Troeltsch (1865-1923), der lehrte, dass nur solche Ereignisse als historisch gelten könnten, für die es in der Geschichte bereits eine Entsprechung gibt. Ein Ereignis wie die Auferstehung Jesu Christi könne demzufolge niemals stattgefunden haben. Troeltsch bahnte den Weg für eine Generation von liberalen Theologen, die Europa vor dem Ersten Weltkrieg beeinflusste.

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen entwickelte Rudolf Bultmann (1884-1976) sein Programm der „Entmythologisierung": Da der moderne Mensch die Wundergeschichten der Bibel, die Bultmann als Mythen betrachtete, nicht mehr glauben könne, müsse man die Bibel „entmythologisieren".


Vorbereitungen für die Tragödie



Schon Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) hatte das Deutschtum verherrlicht. Er behauptete, dass die Vervollkommnung der Menschheit nur vom deutsche Volk ausgehen könnte. Fichte war gleichtzeitig antisemitisch eingestellt. (Der Antisemitismus hatte leider in Europa eine lange Vorgeschichte. Sogar Martin Luther hatte sich in erschreckender Weise über die Juden geäussert.)

Richard Wagner, der mit Nietzsche befreundet war, griff auf das vorchristliche Gedankengut der germanischen Religion zurück und komponierte gewaltige Opern, in denen die überlegene Rasse der Arier und die germanischen Götter verherrlicht wurden. Wagner war ebenfalls antisemitisch eingestellt.

Adolf Hitler bekam als junger Mann eine satanische Berufung, als er eine Oper von Wagner besuchte (Lohengrin). Dieses Erlebnis der besonderen Berufung, die Hitler als Auftrag oder Mission bezeichnete, ereignete sich im Jahre 1904 im Opernhaus von Linz: Ein Freund, der ihn an diesem Abend begleitet hatte, berichtete, dass nach der Auff&uauml;hrung aus Hitler ein anderes Wesen zu sprechen schien und dass er beinahe finster ausgesehen habe. Später bezog Hitler sich mehrmals auf diesen Abend in der Oper und erklärte: „In dieser Stunde begann es."

Auch andere Deutsche wurden vom Teufel benutzt, der er ihre gottgegebene Fähigkeit, andere Nationen zu beeinflussen, pervertierte und missbrauchte. Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895) begr&uauml;ndeten gemeinsam den modernen Kommunismus. Niemand kann die Millionen von Menschen zählen, die - als Folge der Lehren von Engels und Marx - in Gefängnissen dahinvegetierten, gefoltert wurden oder sterben mussten. Die Spur dieses Leids lässt sich in Lateinamerika genauso verfolgen wie in Afrika oder China. Die weltweiten Auswirkungen der kommunistischen Ideologie, die von zwei Deutschen in die Welt gesetzt worden war, wird schlagartig deutlich, wenn man an die Aushungerung von Millionen in der Ukraine denkt, an die “killing fields" von Kambodscha oder an die brutalen Morde und Verstümmelungen durch die Anhänger des „Leuchtenden Pfades" in Peru.

Somit war waren die Vorbereitungen für die kommende Tragödie abgeschlossen. Die Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Beginn der 30er Jahre könnte man - vereinfachend - so zusammenfassen: Viele bekannten sich zu der Aussage, dass Gott tot sei; die Bibel wurde mehr und mehr als ein Buch voller Mythen betrachtet; und der Gedanke, dass es absolute Massstäbe für Richtig und Falsch gibt, wurde vielfach abgelehnt.

Wir stossen hier auf ein merkwürdiges Paradoxon: Obwohl der Satan den Rationalismus gebrauchte, um den Glauben an Gott und sein Wirken zu zerstören, überschwemmte er andererseits das Land mit einer Welle irrationaler okkulter Manifestationen. Während Theologen diejenigen Elemente des christlichen Glaubens, die mit der Vernunft nicht zu erfassen waren, leugneten oder umdeuteten, suchten viele Menschen in Europa nach geistlicher Erleuchtung aus dem Osten.

Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts kann man in Europa eine Mischung von verschiedenen okkulten Str&aouml;mungen feststellen: Die unterschiedlichsten Geheimgesellschaften, die antike Mysterienkulte wiederbeleben wollten, verbanden dies mit Antisemitismus und mit den Gedanken einer evolutionären Höherentwicklung, die dazu führen sollte, eine göttergleiche Rasse entstehen zu lassen.

Ein stetiger Strom von Pilgern machte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Europa aus auf den Weg nach Tibet. Eine dieser Pilgerinnen war die Spiritistin Helena Petrovna Blavatsky (1831-1891). Sie veröffentlichte Offenbarungen, die sie von “erhabenen Meistern" im Tibet erhalten hatte und die von einer prähistorischen, arischen Rasse von Supermännern und ihrem Symbol, dem Hakenkreuz, sprachen.

Auch den New-Age-Gedanken kann man auf Madame Blavatsky und den Engländer Aleister Crowley zurückführen. Doch ihre Ideen beeinflussten nicht erst in unserer Zeit Europa.

Eine ähnliche Wirkung ging von Guido von List aus, der zu einer Rückkehr zu den vorchristlichen Göttern der Germanen aufrief und besonders die Geheimwissenschaft der Runenkunde verbreitete. Lanz von Liebensfels vertrat die Ansicht, dass eine Herrenrasse herangezüchtet werden sollte; untergeordnete Rassen sollten vernichtet werden.

Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) wurde als der geistige Vater des nationalsozialistischen Gedankengutes bezeichnet. Er hatte in einem Buch die Theorien von Nietzsche und Wagner miteinander verbunden. Er lehrte, dass das arische Deutschland seine historische Aufgabe, die Welt zu erneuern und zu regieren, unter der Leitung eines inspirierten und vollkommen entwickelten Führers erfüllen würde. Das Erstaunliche ist aber, dass Chamberlain sagte, dass seine Texte ihm von Dämonen Wort für Wort diktiert worden seien. Diese Geister hatten ihm gesagt, dass er den okkulten Messias erkennen würde, wenn dieser erscheint. Bevor Chamberlain im Jahr 1927 starb, bezeichnete er Adolf Hitler öffentlich als diesen Mann. Insofern könnte man Chamberlain als einen pervertierten Messias-Herold, als einen „falschen Johannes den Täufer" bezeichnen.


Der religiöse Charakter des Nationalsozialismus



Die nationalsozialistische Ideologie gleicht bei genauer Betrachtung eher einer Religion als einer politischen Bewegung. Man könnte sagen: In dieser Religion war Adolf Hitler der Messias, Heinrich Himmler der Hohepriester, Richard Wagner der Psalmendichter, Hitlers Buch „Mein Kampf" die Heilige Schrift, das Hakenkreuz das Kreuzsymbol und die SS die Geistlichkeit.

Moderne Historiker haben vergeblich versucht, Hitler und das Phänomen des Dritten Reiches und den Holocaust zu erklären. Ich glaube, der Grund ist, dass sie es aus einem rationalistischen Blickwinkel betrachten und die tiefe Verstrickung Hitlers in Okkultismus übersehen sowie die religiöse, dämonische Natur der Nazi-Rituale und ihre Lehren.

Die Nationalsozialisten vermischten drei Strömungen von okkulten Lehren: germanische Mythologie, Gedankengut der Gnostik und fernöstlichen Mystizismus; dann fügten sie unsachgemäss verwendete Ergebnisse der Naturwissenschaft hinzu, so dass daraus ein ideologisches Gemisch mit furchtbaren Folgen entstand.

Die Menschen, die geistliche Realitäten zuvor geleugnet hatten, waren völlig überfordert, als dieses Phänomen nach der erniedrigenden Niederlage Deutschlands im 1. Weltkrieg hervorbrach. Sogar der Premierminister Englands, Neville Chamberlain, wurde von Hitler getäuscht. Chamberlain war überzeugt, dass der Mensch im tiefsten Grund seines Wesens gut sei; er glaubte, dass am Ende doch die menschliche Vernunft und der Rationalismus siegen würde. Doch die schwarze Wolke, die Deutschland und die ganze Welt in den 30er Jahren überschattete, war nicht aus der menschlichen Vernunft geboren: Sie hatte ihren Ursprung in der Hölle, und durch intellektuellen Stolz hatte sie sich zu einer enormen Grösse weiterentwickelt.


Warum konnten die Christen damals das Unheil nicht abwenden?



Sagt uns das Wort Gottes nicht, dass „der, der in uns ist, grösser ist als der, der in der Welt ist" (1 Joh. 4,4) und dass das „anhaltende, brennende Gebet des Gerechten viel vermag"? (Jak 5,16b) Trotz der angepassten Weltanschauung und dem geistlichen Tod, der sich in vielen Gemeinden breitgemacht hatte, gab es zu Beginn dieses Jahrhunderts immer noch dynamische Gruppen von Christen in Deutschland. So stellt sich die Frage: Warum konnte die Dunkelheit eine Generation lang das Licht überschatten?

Die geistliche Kraft bibelgläubiger Christen war aufgrund tiefer Spaltung unter den Christen grösstenteils neutralisiert worden. Wie ich bereits erwähnte, bin ich viel in der Welt herumgereist. Ich habe in den verschiedensten Konfessionen gedient und war in Kontakt mit Gläubigen von jedem Teil des christlichen Spektrums und fast jedem Land auf dieser Erde. Und doch habe ich lange Zeit nirgends sonst eine so tiefe Spaltung erlebt, wie ich sie damals unter den Christen in Deutschland beobachten konnte.

Im August 1987 sprach ich in Frankfurt zu einer Versammlung von 8000 Menschen. Gott forderte mich auf, in dieser Versammlung eine Erklärung abzugeben: „Es gibt heute zwei Staaten in Deutschland, aber Gott möchte ein vereintes Deutschland haben." (Meine Worte wurden damals in den Medien zitiert, weil dies im Jahr 1987 noch ein politisch brisantes Thema war. Aber zu dieser Aussage hatte Gott mich gedrängt.) Eine andere Aussage, zu der ich am selben Abend gedrängt wurde, war, dass Deutschland deshalb in zwei Teile gespalten sei, weil die Gemeinde Jesu Christi in Deutschland gespalten ist.


Eine von Satan eingefädelte Polarisierung



Diese Spaltung hatte kurz nach der Jahrhundertwende begonnen, als einige Christen, die die Pfingsterweckung in Norwegen erlebt hatten, diese Lehre auch nach Deutschland brachten. Vieles von dem, was sie mitbrachten, war positiv, aber ihre Versammlungen in Kassel steigerten sich ins Extreme. Der Leiter dieser Zusammenkünfte in Kassel, der Gemeinschaftsprediger Heinrich Dallmeyer, war besorgt, er könnte „den Geist dämpfen" (1 Thess 5,19). Aus diesem Grund machte er die extreme Aussage, dass jede Äusserung der Sprachengabe („in Zungen reden"; vgl. 1 Kor 12,10) von Gott sei. Anstatt die Geister zu prüfen, wie es das Wort Gottes uns sagt, wurde alles erlaubt - auch Erfahrungen, die - wie es scheint - dämonischen Ursprungs waren.

Viele Christen waren verunsichert - besonders als Dallmeyer sich später von allen diesen geistlichen Erfahrungen distanzierte und erklärte, dass alle diese geistlichen Gaben, die man in Kassel erlebt hatte, nicht vom Geist Gottes, sondern von einem Lügengeist verursacht worden seien.

Ein Treffen wurde einberufen, und am 15. September 1909 formulierten 56 Angehörige der Gemeinschaftsbewegung ihre Reaktion. Dabei verfielen sie jedoch in das andere Extrem: Die Berliner Erklärung, die sie unterzeichneten, besagte, dass die Pfingstbewegung „nicht von oben, sondern von unten" sei. Im 1. Artikel wird von der Pfingstbewegung gesagt: „Es wirken in ihr Dämonen, welche, vom Satan mit List geleitet, Lüge und Wahrheit vermengen, um die Kinder Gottes zu verführen. In vielen Fällen haben sich die sogenannten Geistbegabten nachträglich als besessen erwiesen..."

Christian Krust schrieb später über diese Berliner Erklärung, dass kein weltliches Gericht je solch ein schwerwiegendes Urteil aufgrund derart unzureichender Beweisführung mit solch einseitiger Berichterstattung gefällt hätte.

Die Leiter der frühen deutschen Pfingstbewegung bemühten sich um Versöhnung, aber die Furcht war zu gross. Die Pfingstler führten ihren Dienst zwar fort, aber sie hatten unter ständiger Ablehnung zu leiden. Später erklärten einige von ihnen, dass die Unterzeichner der Berliner Erklärung einen Fluch auf sie gelegt hätten. So unterstellten beide Parteien der anderen Seite dunkle Motive. Damit war die Polarisierung, die der Satan angestrebt hatte, erreicht.

Ich persönlich glaube, dass der Geist Gottes zutiefst betrübt war. Und sicherlich wurde das geistliche Potential der Gemeinde Jesu Christi in Deutschland ausreichend neutralisiert, so dass sie die bevorstehende Flutwelle des Bösen nicht aufhalten konnte. Wie liesse sich sonst erklären, dass ein Land, in dem es betende Christen gab, innerhalb von nur 25 Jahren zwei Weltkriege auslöste? Die Ursache liegt in der Tatsache, dass diese Christen gespalten und dadurch machtlos geworden waren (vgl. Psalm 133,3).

Es war ein Gedanke Gottes, dass Ost- und Westdeutschland 1990 ihre Wiedervereinigung erleben sollten. Und nun sagt er zu euch, dass die Zeit der Trauer vorbei ist. Ihr seid durch eine sehr dunkle Zeit gegangen, nun aber kommt ihr wieder ins Licht. Es wird Zeit, dass ihr eure Aufgabe, eine dienenden Führungsrolle einzunehmen, wiederentdeckt und dass ein Einfluss auf die Nationen, der sich an dem Willen Gottes orientiert, von euch ausgeht. Eure Missionare mit ihrem hingebungsvollen Einsatz haben uns sehr gefehlt. Es ist Zeit, dass ihr zurückkommt und eure Berufung, die Gott euch anvertraut hat, wieder aufnehmt - so wie damals Elisa den “Prophetenmantel" aufgenommen hat (1 Könige 19,19).

Die Schlüsselrolle, die Deutschland hat, betrifft nicht nur den Missionsauftrag, den wir ausführen sollen. Diese Schl&uauml;sselrolle betrifft auch den Frieden im Nahen Osten. Wir Christen sollen alle um Frieden für Jerusalem beten; aber der Friede kann nicht kommen, solange nicht Vergebung ausgesprochen wird. Wie mir gesagt wurde, war vor einiger Zeit ein deutscher Politiker in Israel. Als er um Vergebung für den Holocaust bat, weigerten sich seine Gesprächspartner jedoch, zu vergeben. Wir müssen also dafür beten, dass Israel die Bereitschaft findet, Deutschland zu vergeben. Dann wird auch Israel Vergebung empfangen und einen Ausweg aus seinem Leid finden.


Ein neuer Tag



Deutschland hat auch im Blick auf eine Erweckung in Europa eine Schlüsselrolle. Wo der Satan Tod und Sünde im überfliessenden Mass brachte, wird die Gnade jedes Mass noch um vieles übertreffen. Gerade in dem Land, über das der Feind wie eine Flut hereinbrach, wird der Geist Gottes den “Pegelstand des geistlichen Lebens" anheben. Viele Gebetsbewegungen gewinnen an Kraft. Der Hunger nach Einheit wächst; das kann man an Veranstaltungen wie dem „Marsch für Jesus" ganz deutlich erkennen. Die Spaltungen der Vergangenheit sollen überbrückt werden. Intellektueller Stolz wird ersetzt durch Demut und Liebe zueinander. Mehr und mehr Evangelisten stehen auf. Dieses Land mit einem grossen Herzen für die Nationen wird noch einmal die ganze Erde mit Bibeln, einer neuen Reformation, Erweckungsbewegungen, Gebet für die Nationen und die Aussendung von Missionaren zu jedem Kontinent segnen.

Doch nun fasst Mut, alle Menschen dieses Landes! Fasst Mut, spricht der Herr, und arbeitet. Denn ich bin mit euch. Haggai 2,4

Loren Cunningham




(aus: George Verwer, Luis Bush u.a. (Hg.), Los jetzt! Ein Handbuch für die Mission, Verlag Marsch für Jesus, Lüdenscheid 1994, S. 54-70)